Blutspuren markieren nicht nur den Pfad, entlang welchem Blut verloren wurde. Spuren aus Blut, insbesondere die Form von Blutstropfen, verraten uns auch, wie schnell und in welche Richtung.
Ein Tropfen ist ein Tropfen mag man denken. Tatsächlich spielen Geschwindigkeit und Richtung jedoch eine große Rolle dabei, welche Form der Fleck annimmt, den ein Tropfen hinterlässt. In der Forensik helfen Blutstropfen, einen Tatort zu lesen: Wo, aus welcher Richtung und wie schnell Blut aufgetroffen ist, erzählt Forensiker:innen eine Geschichte.
Eine solche Geschichte ist bei mir hängen geblieben. Sie ist zugleich meine erste Begegnung sowohl mit Blutspurenanalyse als auch mit Forensik im Allgemeinen. Ich muss ein Kind oder ein Gerade-mal-Teenager gewesen sein, als ich im Fernsehen einen Krimi verfolgte, in welchem genau das Thema dieses Artikels das Schicksal eines Täters besiegelte.
Was ich noch weiß, ist Folgendes: Ein Mann wollte einen Messerangriff vortäuschen, dem er in seiner Küche ausgesetzt gewesen sei. Zu diesem Zweck brachte er sich selbst mit einem Teppichmesser Schnitte im Gesicht und auf der Brust bei. (Ob er sich auch Verteidigungswunden schnitt, weiß ich nicht mehr. Genauso wenig, was eigentlich der Anlass für seine Selbstverletzung war.)
Obschon ich mir vorstellen kann, dass die Bilder davon, wie er sich selbst ins Gesicht schnitt, vorrangig dafür verantwortlich waren, dass mir der Fall weit über 30 Jahre lang im Gedächtnis blieb, weiß ich sogar auch noch, wie er überführt wurde.
Blutstropfen, Blutspritzer
Die Fakten sind ganz einfach: Die Analyse von Blutspuren (engl. Blood Spatter oder Bloodstain Pattern Analysis) betrachtet die Größe und äußere Form von Blutstropfen:
- Blut, welches senkrecht auf eine Oberfläche trifft, hinterlässt dort fast perfekt runde Blutspuren.
- Trifft Blut dagegen schräg – also in einem kleineren Winkel – auf, verformt sich der Fleck entlang der Bewegungsrichtung ins Ovale.
- Oft haben ovale Blutflecke ein kleines Schwänzchen, welches anzeigt, aus welcher Richtung der Blutstropfen aufgetroffen ist.
All dies lässt sich recht gut in meiner Titelgrafik erkennen:
- Rechts sieht man einige fast runde Flecken. Sie müssen folglich senkrecht aufgetroffen sein.
- Links dagegen finden sich stark ovale Spuren. Für sie steht fest, dass sie in einem ziemlich spitzen Winkel aufgetroffen sein müssen.
- Einige davon haben an einem Ende des Ovals deutliche Schwänzchen, die teils fast genauso lang sind wie das Oval selbst. Meist zeigen die Schwänzchen an ihrem Ende eine kleine Verdickung.
Forensiker:innen können daran sofort ablesen, dass die Blutflecken in meiner Titelgrafik nicht gleichzeitig entstanden sind, sondern in mindestens fünf Anläufen:
- Die ganz feinen Tröpfchen müssen mit sehr hoher Geschwindigkeit ausgestoßen worden sein, weil ein Tropfen umso kleiner ist, je schneller ein blutiger Gegenstand oder das blutende Körperteil bewegt oder getroffen wurde. Das geht bis hin zu Blutnebel.
- Die großen Tropfen rechts fielen senkrecht herunter.
- Und die ovalen Flecken zeigen, dass Blut hier aus mindestens drei relativ ähnlichen Richtungen und ähnlich flach auf die Unterlage aufgetroffen sind. Man erkennt das Erste, die Richtung, an der Mittelachse von Oval und Schwänzchen. Der Auftreffwinkel ist, wie gesagt, jeweils aus der Länge des Ovals ersichtlich.
Blutstropfen und Bewegung
Zurück zum Film: Wie wurde nachgewiesen, dass der Mann nicht von einem Angreifer verletzt wurde und nicht im weiteren Kampf die Küche vollblutete? Ganz einfach: Es gab dort keine ovalen Blutflecke.
Blut, das sich an einem in Ruhe befindlichen Gegenstand oder Körperteil sammelt und abtropft, wenn sich ein hinreichend großer Tropfen gebildet hat, fällt ja senkrecht auf den Boden. Es bilden sich fast perfekt runde Blutspuren.
Das Gegenteil ist der Fall, wenn Blut aus einer Kampfbewegung heraus weggeschleudert wurde. Diesbezüglich möchte ich noch eine kurze Überlegung dazu anstellen, in welche Richtung Blutstropfen fliegen können. Es sind zwei aus drei Gründen:
- Entlang einer Bewegung spritzt Blut, wenn die Blutquelle aus der Ruhe beschleunigt wird. Durch seine Trägheit wird ein Tropfen nicht so schnell beschleunigt wie der Gegenstand oder das Körperteil, an welchem er hängt, und reißt ab. Die Geschwindigkeit des Tropfens ist dann geringer als diejenige des Körpers. In diesem und den folgenden Fällen spricht man von cast of blood (engl. für weggeschleudertes Blut).
- Ähnliches geschieht, wenn ein blutiger Gegenstand aus einer Bewegung abgebremst wird (negative Beschleunigung). Hier reißen sich Blutstropfen los und fliegen in Richtung der Bewegung weiter, weil ihre Trägheit größer ist als die Oberflächenspannung, die sie an ihrem Träger hält. Die Geschwindigkeit der Tropfen ist dann etwas geringer als die ursprüngliche Geschwindigkeit, aus welcher ihr Träger abgebremst wurde.
- Aus Drehbewegungen heraus wird Blut fort von der Achse der Drehung nach außen geschleudert – durch die Zentrifugalkraft.
Blutstropfen und Schleudertrauma
Wurde also, wie besagter Mann behauptete – eine Schnittwunde schnell geschlagen und der blutende Körper anschließend im Kampf hektisch hin und her geworfen, werden die Tropfen in alle Richtungen geschleudert. Die Blutflecken sind in diesem Fall oval. Je flacher sie auftreffen, desto ovaler sind sie.
Nachdem der Mann im Film aus meiner forensischen Kindheitserinnerung sich also selbst verletzt und alles langsam und sorgfältig vollgeblutet hatte, fand die Polizei nur runde Flecken. Keine ovale Flecken bedeutet hier: Es gab keinen Kampf.
Es mag traumatisch für diesen Mann sein, aber da klicken einem doch gleich die Handschellen.
Quellen und Fallbeispiele
- Davon & Damon Routier – Medical Detectives / Forensic Files, S4E1: „Invisible Intruder“, 06.10.1999, TV-14